Vor Ort

Vor Ort in Ghana: Lena Schoemaker

Im Jahr 2008 war Lena Schoemaker  aus Nordhorn einige Monate in Ghana – sie will in diesem Jahr wieder hin.

Warum, das erzählt sie uns hier:

Ghana – ein Land im Westen des afrikanischen Kontinents. Ca. 24 Millionen Einwohner, davon 39% unter 15 Jahren alt, teilen sich in mindestens 80 verschiedene Bevölkerungsgruppen auf. Das bedeutet, neben Englisch sind mindestens 80 verschiedene Sprachen in dem afrikanischen Land zu hören. Das bedeutet auch: überfüllte Schulen, Kindergärten und andere Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Eine Herausforderung, die ich vor knapp zwei Jahren gerne annahm. Sechs Monate Ghana für ein Praktikum, das mich in meinem Studium der Diplom-Erziehungswissenschaften irgendwie weiterbringen sollte. Ziel meiner Reise: die Kleinstadt Nkoranza, ca. zweieinhalb Autostunden von Kumasi entfernt, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Dort, hinter dem Krankenhausgelände, befindet sich die „Peace of Christ Community“, auch „Operation Hand in Hand“ genannt.

 

Die Peace of Christ Community – Eine Gemeinschaft des ökumenischen Friedens

Die Community wurde 1992 von einer niederländischen Tropenärztin gemeinsam mit drei Ghanaern als Wohndorf für geistig und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche gegründet.

Auslöser war die Beobachtung, dass das Leben eines behinderten Kindes scheinbar nichts wert war. In Ghana galten und gelten geistig behinderte Kinder zu großen Teilen immer noch als so genannte Water-Children (Wasserkinder). So folgt ein Teil der ghanaischen Bevölkerung immer noch dem traditionellen Glauben, der besagt, geistig behinderte seien das Resultat vom sexuellen Verkehr der Frauen mit Wassergeistern. Aus diesem Grund ist das Leben eines geistig behinderten Kindes in Ghana schon von vornherein als schwer und manchmal sogar unmöglich bestimmt.

Obwohl ein großer Teil der ghanaischen Bevölkerung sich zur christlichen Glaubensgemeinschaft bekennt, ist die Kraft des traditionellen Glaubens besonders in ländlichen Gebieten des Landes immer noch spürbar. Gerade dort werden viele geistig behinderte Kinder und Jugendliche von ihren Familien verstoßen und oft weit entfernt von ihren Heimatdörfern ausgesetzt. Oftmals in der Nähe eines Flusses, mit der Hoffnung, der Wassergeist würde die Kinder wieder zu sich ins Wasser holen.

 

Fast alle Kinder und Jugendlichen der „Peace of Christ Community“ wurden ebenfalls von ihren Eltern ausgesetzt und landeten zunächst in einem der überfüllten staatlichen Kinder- oder Waisenheime oder in der Psychiatrie. Die dort tätigen Mitarbeiter waren und sind meistens überfordert mit der Herausforderung, die ein behindertes Kind mit sich bringen kann oder hatten schlicht kein Interesse, sich näher mit dem Kind zu beschäftigen. Das war damals, zur Gründung der „Peace of Christ Community“ so und ist heute – wenn auch weniger ausgeprägt – immer noch so. Bei meinem Besuch in einem staatlichen Kinderheim begegneten mir drei behinderte Kinder, die sowohl von den Betreuern als auch von den anderen nicht-behinderten Kindern kaum beachtet wurden. Wie groß die Freude, wenn sich Besucher mit ihnen beschäftigen!

 

Bereits vor meiner Reise habe ich mit geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Trotzdem oder gerade deshalb war ich gespannt, was mich erwartet. Und es wurde mir leicht gemacht: Die Kinder freuen sich, neue Gesichter zu sehen und über jede neue Art der Beschäftigung und Aufmerksamkeit. Viele gehen auf die angrenzende Sonderschule, die aber – meiner Meinung nach – den Namen Schule nicht verdient. Sie bleiben dort unterfordert und werden dort nicht im Geringsten gefördert. Wo in Deutschland bereits in früher Kindheit Frühförderung, Ergo- und Sprachtherapie, Physiotherapie und besondere Förderung in Kindergarten und Schule einsetzen und so einem behinderten Kind von Beginn an eine möglichst positive Entwicklung garantieren, finden sich in Ghana nur sehr wenige vergleichbare Praktiken. Die Lehrer und Lehrerinnen schlafen im Unterricht, die Kinder sind sich selbst überlassen, die Ausstattung der Klassenräume ist ungenügend, der Umgang mit den Kindern mehr als fragwürdig. Deshalb ist es der „Peace of Christ Community“ wichtig, den Kindern außerhalb der Schule eine Alternative zu bieten. So habe ich mit sieben Kindern in Einzelförderung spielerisch Englisch gelernt, Emmanuella – einem kleinen Mädchen ohne Arme und Beine – beigebracht, ihren Mund als Hand- und Fußersatz einzusetzen und einer anderen Gruppe von Kindern und Jugendlichen die Welt des Computers näher gebracht.

Eine wachsende Gemeinschaft

Vor 17 Jahren startete das Projekt in Nkoranza mit einem Kind. Heute leben fast 70 Kinder und Jugendliche auf dem großen Gelände. Zu zweit oder zu dritt leben sie mit jeweils einem Betreuer oder einer Betreuerin in gut ausgestatteten Zimmern, bekommen dreimal täglich eine immer frisch zubreitetet Mahlzeit und werden medizinisch umfassend versorgt. Das Gesicht der Gemeinschaft hat sich verändert. Heute ist sie nicht nur ein Wohndorf sondern verfügt auch über einen Ausbildungsbetrieb für geistig behinderte Jugendliche und junge Erwachsene aus den umliegenden Dörfern. In verschiedenen Werkstätten lernen sie das Handwerk der Glasperlenherstellung, der Schmuckproduktion, Nähen oder die traditionelle Kunst des Kente-Webens. Zusätzlich erlernen die Jugendlichen den Umgang mit einem Computer. Sie leben in den zum Projekt gehörigen Schlafsälen, haben Ansprechpartner und lernen, sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Dazu gehören auch alltägliche Tätigkeiten wie das Wäschewaschen, Kochen oder Hoffegen.

Es ist Zeit, etwas zu tun

Jetzt, mehr als 20 Monate nach meiner Rückkehr aus Ghana kann ich sagen: es war eine gute und lehrreiche Zeit für mich. Es war nicht immer einfach, aber wo ist es das schon? Und ich habe beschlossen, mehr zu tun. Ich möchte, dass es mehr Kindern und Jugendlichen gut geht. Das gilt sowohl für behinderte als auch nicht-behinderte junge Menschen in Ghana. Ich möchte etwas von dem zurückgeben, was ich in Ghana bekommen habe und was ich tagtäglich in Deutschland bekomme. Damit meine ich nicht nur materielle Dinge. Ich sehe es als eine christliche Pflicht an, denen zu helfen und zu geben, die nicht so viel besitzen wie wir. Denn uns geht es gut, manchmal zu gut. Dessen sind wir uns nur viel zu selten bewusst.

Deshalb gehe ich in diesem Jahr  wieder nach Ghana. 20 Minuten von Kumasi entfernt, in dem kleinen Ort Old Adwampong, baue ich mit jungen Ghanaerinnen und Ghanaern, Schweizerinnen und Schweizern und Deutschen ein Waisenhaus. So möchten wir den zukünftig dort lebenden Kindern und Jugendlichen einen regelmäßigen Schulbesuch, einen sicheren Schlafplatz, regelmäßige Mahlzeiten ermöglichen und einen sicheren Ort bieten, an dem sie Kind sein  und sich ihren Möglichkeiten entsprechend entfalten können.